Die Selbsteinschätzung der Berufswahlreife als Grundlage für individuelle Entwicklungsziele
Nicht immer haben junge Menschen die Gelegenheit, sich in einem Praktikum zu erproben (insbesondere im Rahmen der Corona-Pandemie) und nicht immer steht die erforderliche Zeit für eine ausführliche Arbeitsplatzanalyse zur Verfügung. Im Rahmen des Erasmus-Projektes Youth in transition (www.youth-it.cool) wurde ein pädagogisches Tool entwickelt, welches den Dialog zwischen dem jungen Menschen und Mentor/-innen/Lehrkräften/Berater/-innen unterstützt, um in kurzer Zeit zu einer visualisierten allgemeinen Selbsteinschätzung der Berufswahlreife zu gelangen. Berufswahlreife meint die allgemeinen Fähigkeiten und Einstellungen, die erforderlich sind, um eine Berufsausbildung beginnen und absolvieren zu können.
Im Tool können neben dem Status Quo auch die Ziele des jungen Menschen und eine Fremdeinschätzung erfasst werden, so dass ein Soll-Ist-Profil visualisiert wird. Das Tool liefert so eine Diskussionsgrundlage, um individuelle Ziele für den weiteren Berufsvorbereitungsprozess formulieren zu können. Eine detaillierte Feststellung der Stärken und Potentiale für die konkrete Berufswahl – wie bei der Arbeitsplatzanalyse ELKE (siehe weitere Beiträge in diesem Blog) – ist hiermit jedoch noch nicht beabsichtigt. Das Tool ist kein wissenschaftlich valides Messinstrument, sondern sein Einsatz hängt vom richtigen Einsatz durch die pädagogische Fachkraft ab. Daher finden Sie nachfolgend einige pädagogische Hinweise und Erläuterungen zu den Dimensionen:
Das Konzept der Berufswahlreife wird in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedlich definiert. In einer Zusammenschau des Forschungsstandes konnten sechs wichtige Dimensionen identifiziert werden: Resilienz, Motivation, Zielsetzung, Flexibilität, Soziales Umfeld und Berufliche Eignung. Für jede Dimension werden im Tool Indikatoren formuliert, bezüglich derer sich die jungen Menschen einschätzen sollen. Damit dies gelingt, ist es erforderlich, dass die Indikatoren auf konkrete (vorzugsweise berufliche und real erlebte) Situationen bezogen werden (Kontextualisierung). Das Ergebnis wird abschließend visualisiert und ist als pdf-Datei speicherbar.
Resilienz meint die Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen handlungsfähig zu sein und zu bleiben und sich ggf. Hilfe und Unterstützung zu organisieren.
Motivation hinterfragt die Quelle des Antriebs für die Berufswahl: Sind es soziale Erwartungen oder gibt es ein persönliches Interesse an einer Berufstätigkeit und bestimmten Berufen? Letzteres ist in jedem Fall anzustreben. Es gibt umfangreiche wissenschaftliche Evidenz, dass die Identifikation mit dem Beruf nicht nur das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit der Betroffenen fördert, sondern auch den ökonomischen Erfolg und die Kundenzufriedenheit verbessert (vgl. Thole 2020, Berufliche Identitätsarbeit als Bildungauftrag der Berufsschule, im Erscheinen im wbv-Verlag).
Zielsetzung erfragt, ob sich die Motivation und die daraus resultierenden Aktivitäten auf konkrete, realistische Ziele beziehen. Eine Entscheidung für bestimmte Ziele ist notwendig, damit die Anstrengungen zu einem Erfolg führen können. Manchmal befinden sind junge Menschen durch die Menge der Berufswahloptionen noch in einem (teilweise durchaus sinnvollen) Moratorium, manchmal aber auch durch erfahrene Hürden in einer ohnmächtigen Erstarrung oder einer Traumwelt.
Flexibilität ist erforderlich, um in einer sich dynamisch wandelnden Arbeitswelt handlungsfähig zu bleiben.
Soziales Umfeld hinterfragt, ob der junge Mensch die Bedingungen in potentiell in Frage kommenden Berufsfeldern kennt und inwieweit er/sie sich in der Lage fühlt, sich auf diese einzustellen bzw. diese mitzugestalten.
Berufliche Eignung umfasst allgemeine Kompetenzen für eine Berufstätigkeit (z. B. Medienkompetenz, Sprachkompetenz) sowie individuelle Voraussetzungen (Vorkenntnisse, Talent, Interesse) für einen bestimmten Beruf. Sie umfasst ausdrücklich nicht die Kompetenzen, welche im Rahmen der Berufsausbildung erst noch erlernt werden sollen.
Die englische Version des Tools können Sie auf der Website https://youth-it.cool/2020/04/vocational-maturity-tool/ einsehen und testen. Eine deutsche Testversion finden Sie auf: http://www.vetforfuture.eu/yitio2/